Im Jahre 1885 veröffentlichte Herrmann Ebbinghaus, ein Pionier auf dem Gebiet der experimentellen Gedächtnisforschung, eine bedeutende Monographie seiner Forschungsarbeiten. Die Darin dargestellten Untersuchungen waren wahrscheinlich die ersten systematischen Experimente zum menschlichen Gedächtnis. Ebbinghaus arbeitete allerdings noch nicht mit Stichproben von Probanden, wie wir sie nach heutigen Standards in Experimenten einsetzen. Er selbst war sein einziger Proband. Er brachte sich Serien sinnloser Silben bei, und zwar Konsonant-Vokal-Konsonant-Trigramme wie DAX, BUP und LOC. In einem seiner zahlreichen Experimente lernte Ebbinghaus Listen von 13 Silben auswendig, bis er sie zweimal hintereinander fehlerlos wiedergeben konnte. Nach unterschiedlichen Zeitspannen überprüfte er dann, wie gut er diese Listen behalten hatte. Er maß die Zeit, die er brauchte, um die Listen erneut so gut zu beherrschen, daß er sie wieder zweimal fehlerlos aufsagen konnte. Ebbinghaus wollte wissen, um wieviel schneller der zweite Lerndurchgang im Vergleich zum ersten war. Beispielsweise benötigte er einmal für das erste Lernen einer Liste 1156 Sekunden, aber für das erneute Lernen lediglich 467 Sekunden: er hatte also beim erneuten Lernen 1156 - 467 = 689 Sekunden eingespart. Diese Ersparnis läßt sich als Prozentsatz gegenüber der ursprünglichen Lernzeit ausdrücken: 689/1156 = 59,6 Prozent Solche prozentuale Ersparniswerte benutzte Ebbinghaus als Standardmaß für seine Behaltensleistung. In Abbildung 6.1 ist diese Behaltensleistung gegen die Behaltensintervalle abgetragen. Die Kurve zeigt deutlich, daß zunächst sehr rasch wieder vergessen wird; stark abgeschwächt setzt sich das Vergessen noch über 30 Tage nach dem Lernen fort. Ebbinghaus untersuchte nun, was geschehen würde, wenn er die Liste – nachdem er sie bereits bis zum Kriterium zweimaligen perfekten Aufsagens gelernt hatte – noch 30 weitere Male wiederholte. Im Behaltenstest mit diesem überlernten Material erreichte Ebbinghaus für ein Behaltensintervall von 24 Stunden einen Ersparniswert von 64,1 Prozent – gegenüber 33,8 Prozent ohne Überlernen. Die zusätzlichen Lerndurchgänge führten somit bei einem nachfolgenden Behaltenstest zu einer erhöhten Ersparnis. |