Über- und Unterforderung
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Lernprozesse haben
selbst Voraussetzungen.
Grundlegende
Voraussetzung ist, dass eine anregende Situation gegeben ist. Anregend ist eine Situation, wenn
sie weder unter- noch überfordert.
Bei einer
Unterforderung ist man nicht mit Problemen (deren Lösung mit Lernen
einhergeht), sondern lediglich mit Anforderungen konfrontiert.
Überfordert die
Situation, kann das anstehende Problem nicht gelöst werden. Dies schließt
jedoch nicht aus, dass etwas gelernt wird (z. B. kann man lernen, dass man
dieses Problem (noch) nicht bewältigen kann), aber man lernt nicht das, was
gelernt werden sollte.
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Überforderung und
Motivation
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Bei
starker Überforderung wird evtl. auch das Wollen - die Motivation - angepasst, d. h. der “Versager” orientiert sich
in seinen Bedürfnissen um. Diese Umorientierung kann im jeweiligen
Bereich weitere Fortschritte verhindern, weil die Motivation, sich mit einem
bestimmten Problem auseinanderzusetzen, abgenommen hat.
Solche Anpassungen der Bedürfnisse sind aber nicht
grundsätzlich negativ zu bewerten, denn
diese Anpassung bedeutet auch, dass die Interessen spezialisiert werden.
Spezialisierung ist eine wichtige Voraussetzung für herausragende persönliche
Leistungen, die wiederum einen wichtigen Bezugspunkt für das eigene
Selbstwertgefühl darstellen. Es ist sogar denkbar, dass die mit gewissen
Spezialisierungen einhergehende Steigerung des Selbstvertrauens zurückwirkt
und abgebrochene Lernprozesse neu motiviert.
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Mündigkeit
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Das Sprechen über
Unter- und Überforderung beinhaltet die Annahme, dass der Lernende sich dem
Problem überhaupt stellt, dass er über eine gewisse Motivation bereits
verfügt. Diese Annahme - dies macht die Kindererziehung deutlich - ist
durchaus nicht selbstverständlich.
So zeigen die
mannigfaltigen Aufforderungen der Eltern - sei es die Hausaufgaben zu
erledigen, das Zimmer aufzuräumen u. ä. -, dass das „richtige“ Lernen-Wollen bei Kindern noch schwach ausgebildet ist.
In der Pädagogik wird dieses Phänomen als Unmündigkeit bezeichnet. Der
Begriff der Unmündigkeit,
mit dem auch das allgemeine Ziel der Erziehung zu beschreiben versucht wird,
ist zwar unumgänglich, aber
es muss bewusst bleiben, dass die Vorstellung von Mündigkeit mit gewissen
Vorstellungen, Interessen, Wünschen etc. einhergeht und deshalb nicht
unproblematisch ist.
Darüber hinaus scheint
es sinnvoller, Mündigkeit nicht als umfassenden Zustand einer Person zu
verstehen (z. B. der mündige Bürger), sondern auf Dispositionen des Wollens
in bestimmten Situationen zu beziehen: Menschen zeigen dann mündiges oder
unmündiges Verhaltensweisen (insofern ist die Rede vom mündigen Bürger auch
fragwürdig).
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