Lerner

Intelligenztest

               

 

 

 

Entstehung und Urstests

Die Forschung zu Intelligenztests reicht bis zum Beginn des letzten Jahrhunderts zurück. 1904 setzte der Bildungsminister in Paris eine Kommis­sion ein, um diejenigen Kinder herauszufinden, die Förderunterricht benötigen. Alfred BINET begann einen Test zu entwickeln, der objektiv Schüler identifizieren sollte, die intellektu­elle Schwierigkeiten haben.

1916 adaptierte TERMAN den Test von BINET, um ihn auf amerikanische Schüler anwenden zu können. Diese Bemühungen führten zur Entwick­lung des Stanford-Binet-Tests, der in Amerika einer der am weitesten verbreiteten Tests zur allgemeinen Intelligenz ist.

Der andere in Amerika weit verbreitete Test ist der Wechsler-Intelligenztest mit unterschiedlichen Skalen für Kinder und für Erwachsene. Diese Tests umfassen Messungen der Gedächtnisspanne, des Wort­schatzes, des analogen Schließens, des räumlichen Beurteilens und des Rechnens.

Intelligenzquotient

Beide oben genannten Tests verwenden Maße, die man Intelligenzquotienten (IQ) nennt. Die ursprüngliche Definition des IQ erfolgte über die Beziehung zwischen dem Intelligenzalter und dem Lebensalter, wobei man durch den Test ein Maß für das Intelli­genzalter erhält. Kann ein Kind Aufgaben aus dem Test lösen, die ein durchschnittlicher Achtjähriger lösen kann, dann wird dem Kind, unabhängig von seinem Lebensalter, das Intelligenzalter Acht zugeschrieben. Der IQ ist als das Verhältnis zwischen dem Intelli­genzalter und dem Lebensalter definiert, wobei der gesamte Ausdruck noch mit 100 multipliziert wird:

IQ = 100 x IA/LA.

In der Formel steht IA für Intelligenzalter und LA für Lebensalter. Wenn also das Intel­ligenzalter des Kindes acht und das Lebensalter sechs beträgt, so ist der IQ 100 x 8/6 = 133.

Es stellte sich heraus, dass diese Definition des IQ aus verschiedenen Gründen unge­eignet war. Man kann den IQ nicht auf die Messung der Intelligenz bei Erwachsenen erweitern, da die Leistungen in Intelligenztests gegen Ende der Teenagerzeit nicht weiter ansteigen und mit zunehmendem Alter wieder geringer werden. Um mit solchen Schwie­rigkeiten bei der Intelligenzmessung umzugehen, wird der IQ heute im Allgemeinen durch Abweichungsmaße definiert.

Man subtrahiert von dem Rohwert einer Person den mittle­ren Wert der relevanten Altersgruppe und transformiert anschließend diesen Differenzwert in ein Maß, das um den Wert von 100 variiert (etwa so wie der zuvor beschriebene IQ).

Die genaue Definition ist durch folgende Formel ausgedrückt:

 IQ = 100 + 15 × (Rohwert – Mittelwert)/Standardabweichung

Standardabweichung

Die in der Formel bezeichnete Standardabweichung ist ein Maß für die Variabilität der Rohwerte. Wenn der IQ nach dieser Methode bestimmt wird, so verteilt er sich annähernd normal. Die folgende Abbildung zeigt eine solche Normalverteilung der Intelligenzwerte sowie die Häufigkeiten (in Prozent), mit denen Menschen verschiedene Bereiche dieser Intelli­genzwerte erreichen.

Spezialtests

Während es sich bei dem Stanford-Binet-Test und dem Wechsler-Intelligenztest um Tests handelt, die die allgemeine Intelligenz erfassen, gibt es noch viele andere Intelli­genztests, die ganz bestimmte Fähigkeiten wie etwa die räumliche Fähigkeit testen.

Kritik

Insge­samt verdanken diese Tests ihren fortlaufenden Einsatz in unserer Gesellschaft teilweise der Tatsache, dass sie Schulleistungen einigermaßen genau voraussagen, was eines der ursprünglichen Ziele von Binet war. Allerdings wird der Einsatz von Intelligenztests zum Zwecke der Voraussage der Schulleistungen kontrovers diskutiert: Da diese Tests dazu benutzt werden können, zu entscheiden, wer Zugang zu welchen Bildungseinrichtungen erhält, dürfen sie nicht so konstruiert sein, dass sie verzerrte Ergebnisse für bestimmte kulturelle Gruppen erbringen.

Gerade das Konzept der Intelligenz ist in Relation zur jeweiligen Kultur zu betrachten. Was in der einen Kultur als intelligent gilt, kann in einer anderen Kultur ganz anders beurteilt werden. Beispielsweise halten die Kpelle, eine afrikanische Kulturgemeinschaft, die Art, wie in der westlichen Kultur Exemplare Kategorien zugeteilt werden (worauf einige Items in Intelligenztests beruhen), für widersinnig (Cole, Gay, Glick & Sharp, 1971).

Allerdings bleibt die Tatsache bestehen, dass Intelligenztests eine Voraussage der Leistungen in unseren (westlichen) Schulen ermöglichen. Es ist eine ausgesprochen schwierige Frage zu beurteilen, was überwiegt: dass Intelligenztests einen wertvollen Dienst bei der Zuweisung von Schülern leisten oder dass sie lediglich willkürliche kultu­relle Überzeugungen durchsetzen.

Angeboren oder erlernt?

In Zusammenhang mit dem Problempunkt der Fairness von Intelligenztests steht auch, ob durch sie angeborene Begabungen oder erworbene Fähigkeiten erfasst werden (Anlage-Umwelt-Debatte).

Möglicherweise entscheidende Daten scheinen Untersuchungen zur Zwillingsforschung mit getrennt aufwachsenden eineiigen Zwillingen zu erbringen. Üblicherweise geht es dabei um eineiige Zwillinge, die von verschiedenen Familien adoptiert wurden. Solche Zwillinge haben die identische genetische Ausstattung, aber unterschiedliche Erfahrungen mit der Umwelt. Die For­schung zu diesem Thema ist kontrovers (Kamin, 1974), aber neuere Studien (Bouchard, 1983; Bouchard & McGue, 1981) legen nahe, dass eineiige Zwillinge, die getrennt auf­wachsen, einen sehr viel ähnlicheren Intelligenzquotienten aufweisen als zweieiige Zwil­linge, die in der gleichen Familie aufwachsen. Dies kann als deutlicher Beleg dafür gewertet werden, dass es eine starke angeborene Komponente beim Intelligenzquotienten gibt. Es wäre allerdings ein Fehlschluss, wenn man dies zu der Aussage generalisieren würde, dass Intelligenz zum Großteil angeboren ist.

Intelligen und Spezialistentum

Intelligenz und der Intelligenzquotient sind zweierlei Dinge und dürfen nicht verwechselt werden. Aufgrund der Zielsetzung von Intelligenztests müssen diese den Erfolg für eine breite Palette von Umwelten voraussa­gen, insbesondere für die akademische Umwelt. Dies bedeutet, dass sie den Anteil indivi­dueller Erfahrungen an der Intelligenz unberücksichtigt lassen müssen.

Beispielsweise haben Schachexperten üblicherweise keinen außerge­wöhnlich hohen Intelligenzquotienten. Was eher Aufschluss über den IQ-Test als über die Schachexperten gibt. Würde ein IQ-Test hauptsächlich Schacherfahrung messen, so hätte er nur geringe Erfolgsaussichten in der Vorhersage des akademischen Erfolgs im Allgemeinen.

Intelligenztests messen also Grundfähigkeiten und allgemeines Wissen, welches vernünftigerweise von jedem Mitglied einer bestimmten Kulturgemein­schaft erwartet werden kann. Beson­dere Leistungen, Spezialistentum in einer bestimmten Domäne ist jedoch vom Wissen und von Erfahrung abhängig, die das allgemeine Maß innerhalb einer Kultur übertreffen.

Ein weiterer Beleg der mangelnden Korrelation zwischen Expertentum und IQ stammt von Ceci und Liker (1986). Sie untersuchten die Fähigkeit von passionierten Pferderennfans in Bezug auf das Handicapping (Das Handicapping bei Pferderennen wird vor der Öffnung der Wettbüros vorgenommen und legt vorab fest, welches Pferd als Favorit beziehungsweise als Außenseiter gilt. Die Grundlagen des Handicapping bilden die momentane Form des Pferdes, die Ergebnisse in den letzten Rennen, die Verfassung des Jockeys usw.) bei Pferderennen und fanden heraus, dass die Fähig­keit zum Handicapping von der Entwicklung eines komplexen interaktiven Modells von Pferderennen abhängt, es aber keine Beziehung zwischen dieser Fähigkeit und dem IQ gibt.

Nutzen

Auch wenn spezifische Erfahrungen für den Erfolg auf jedem Gebiet wichtig sind, ist es doch ein beachtenswerter Umstand, dass diese Intelligenztests Erfolg bei bestimmten Unternehmungen voraussagen können. Sie erlauben eine Voraussage — wenn auch mit bescheidener Genauigkeit - der Schulleistungen und des allgemeinen Erfolgs im Leben (zumindest in westlichen Gesellschaften).

Festzuhalten bleibt noch, dass Intelligenztests besonders das schlussfolgernde Denken, verbale und räumliche Fähigkeiten messen.